Maubisstraße
Stadtteil: Kaarst
Amtlich benannt zwischen 1910 und 1913
Heutiger Verlauf: Neusser Straße bis Lange Hecke (Kreisverkehr)
Früher: Gemarkung Kleinsiep, postalisch Buchstabe G
Länge der Straße: 758m
Die Maubisstraße ist laut dem Wege-Lagerbuch der Gemeinde Kaarst von 1857 Teil des Weges „von Kaarst nach Büttgen und zwar vom Dorf an Maubis vorbei längs Girmeskreuz bis Gymkes nach Büttgen“. Sie ist eine der 14 Straßen, die zwischen 1910 und 1913 einen amtlichen Namen erhielt[1]. Sie ist benannt nach dem bereits 1758 erwähnten Maubishof[2], einer bekannten Herberge, Gastwirtschaft und Pferdewechselstation. Der historische und denkmalgeschützte Teil liegt an der Ecke Maubisstraße/Lange Hecke.
Der letzte Eigentümer, der den Namen Maubis trug, war Michael Maubis, der 1782 starb. Eine seiner beiden Töchter heiratete Andreas Michels, der von 1808 bis 1812 in Kaarst von den Franzosen als Maire (Bürgermeister) eingesetzt war. 1879 verkaufte eine Tochter den Maubishof an Franz-Josef Scheuren[3].
Im Jahr 1908 wurde an dem historischen Teil angebaut und dort betrieb die Familie Scheuren bis 1978 eine Gastwirtschaft. Diese war im alten Kaarst beliebt, nicht nur wegen der vorhandenen Kegelbahn, sondern auch wegen des Wirts Victor Scheuren. Viele Schützenzüge hatten dort ihr Vereinslokal. Seit 1992 ist dort ein griechisches Restaurant[4]. In den 1950 Jahren baute die Familie Scheuren unmittelbar neben der Gaststätte Maubishof das erste ortsfeste Kino in Kaarst, das von 1958 bis 1969 von der Familie Weckauf unter dem Namen „Odeon“ betrieben wurde[5]. 1972 wurde das Kino zu Geschäftsräumen umgebaut und daneben ein weiteres Wohn- und Geschäftshaus errichtet.
Der historische Teil des Maubishofes war Anfang des 20. Jahrhunderts durch Heirat von Michael Winzen mit Therese Scheuren in den Besitz der Familie Winzen gekommen, und dieser Familienzweig setzte die zum Maubishof gehörige Landwirtschaft fort. 1975 eröffneten Peter und Christel Winzen das „Grüne Lädchen“, den ersten Hofladen in Kaarst[6].
Zur Zeit ihrer Benennung war die Maubisstraße nur wenig bebaut, es genügten 1913 nur acht Hausnummern[7]. Die wenigen Häuser befanden sich im nördlichen Teil zwischen Neusser Straße und der heutigen Grünstraße. Noch bis in die 1970er Jahre gab es an der Maubisstraße bewirtschaftete Felder, und bis zum Bau des Maubiscenters in den Jahren 1972 bis1981[8] hatte man von der Alten Heerstraße den freien Blick bis ins alte Dorf.
Bereits 1926 erhielt die 758m lange Straße auf Antrag der Bürger eine Straßenbeleuchtung[9]. 1930 wurde sie mit Bäumen bepflanzt, von denen noch heute einige erhalten sind. Seitdem hat sich das Straßenbild allmählich verändert. Die Bebauung nahm zu und damit auch der Straßenverkehr. Deshalb wurde am 28.09.1965 die Errichtung einer Ampelanlage an der Kreuzung Lange Hecke/Maubisstraße beschlossen[10]. 1995 wurde die Anlage im Zuge der Errichtung der neuen Stadtmitte durch einen Kreisverkehr ersetzt.
Die große Zahl der Einkaufsmöglichkeiten im südlichen Bereich der Maubisstraße, im angrenzenden Neumarkt und dem Maubiscenter führt zu einem starken Besucherverkehr. Daher ist die Strecke vom Kreisverkehr bis zur Einfahrt des Parkplatzes Maubiscenter inzwischen zur verkehrsberuhigten 30er-Zone umgewidmet worden, optisch ergänzt durch einen, ein Meter breiten, leicht gewölbten und gepflasterten Streifen in der Mitte der Fahrbahn. Fußgänger finden einen sicheren Übergang auf breiten Zebrastreifen am Kreisverkehr. Für Autofahrer befinden sich Parkbuchten auf der Maubishofseite sowie gegenüber auf dem Parkplatz Am Maubiscenter. Fahrradfahrer in Richtung Kreisverkehr fahren auf einem, am Fahrbahnrand markierten Streifen, in Gegenrichtung teilen sie sich den breiten Bürgersteig mit den Fußgängern. Da auch viele Schulkinder auf dem Weg zur Grundschule auf der Grünstraße die Maubisstraße überqueren müssen, ist hier eine Fußgängerampel eingerichtet, die bei Bedarf auf Knopfdruck geschaltet wird. Den Verkehr an der Kreuzung Neusser- und Friedensstraße regelt eine Ampelanlage. Jeweils am Anfang und am Ende der Maubisstraße finden sich Bushaltestellen.
Auch im Kaarster Brauchtum spielt die Maubisstraße schon lange eine zentrale Rolle. Beim alljährlichen Schützenfest sammeln sich auf dieser Straße inzwischen mehr als eintausend Schützen der St. Sebastianus-Schützenbruderschaft Kaarst. Hier nehmen die Schützen Aufstellung zur Parade und ziehen danach zum Festzelt auf dem Kirmesplatz an der Xantener Straße.
Neben diesem traditionsreichen Fest, das am zweiten Wochenende im Juni stattfindet, hat sich ein Stadtfest etabliert: „Kaarst Total“. 2017 findet es bereits zum 19. Mal statt, wie immer am ersten September-Wochenende. Dann ist die Maubisstraße komplett gesperrt und mit allerlei Buden bestückt, in denen sich Kaarster Gewerbe, Vereine und Institutionen vorstellen. An zahlreichen Buden wird für das leibliche Wohl gesorgt und auf drei Bühnen Unterhaltung geboten. Mittlerweile zählt „Kaarst Total“ zu den bekanntesten Stadtfesten am Niederrhein.
Nicht nur die Straße hat sich in den letzten hundert Jahren von einer unbefestigten, unbeleuchteten Dorfstraße mit wenigen Häusern in den heutigen Zustand gewandelt, auch die Häuser von damals sind zum Teil verschwunden und durch Neubauten ersetzt worden.
An der Ecke Maubisstraße/Friedensstraße steht seit 1926 das Kaarster Kriegerdenkmal, das von dem Neusser Bildhauer Oswald Causin entworfen wurde[11]. Es wurde als Gedenkstätte für die im I. Weltkrieg gefallenen Kaarster erbaut. Bis in die 1960 Jahre war hier eine Station der Fronleichnamsprozession. Die Anwohner schmückten zu diesem Anlass einen eigens dafür errichteten Altar und legten einen Blumenteppich aus frischen Blüten. Zum 550-jährigen Jubiläum der Kaarster Schützenbruderschaft im Jahr 2000 wurde das Kriegerdenkmal von den Schützen renoviert und unter anderem auf der Rückseite des Denkmals eine Bronzetafel mit den Namen der Kaarster Kriegsopfer beider Weltkriege angebracht[12]. Nachforschungen haben ergeben, dass die Liste jedoch unvollständig ist. Bis heute wird am Kriegerdenkmal am Schützenfest und am Volkstrauertag mit Kranzniederlegungen der Gefallenen, Vermissten und Bombenopfer der Weltkriege gedacht.
Neben dem Kriegerdenkmal, im Gebäude Maubisstraße 1, befindet sich heute die von Philipp Schop begründete Bäckerei. Sein Großvater J.P. Backes hatte zuvor dort eine kleine Landwirtschaft betrieben und stellte nebenher auch Holzpflüge und Holzschuhe („Klompe“) her. Hauptsächlich jedoch baute er Wasserpumpen. Backes war also ein „Pompemacher“, weshalb man das Haus Maubisstraße 1 auch „An Pompe“ nannte. Seine Tochter Gertrud, verheiratete Klömpges, wurde deshalb auch „Pompe Drütche“ genannt[13]. Philipp Schop betrieb ab 1949 dort eine Bäckerei und Konditorei und stellte Speiseeis her.1953 eröffnete er in Kaarst das erste Kaarster Café. Das Café erhielt den Namen Café Schop „Onger dr Kaschteienboom“ nach der riesigen alten Kastanie, die bis vor wenigen Jahren noch vor dem Haus stand. Sein Sohn Hermann Josef übernahm Bäckerei und Café und erweiterte das Angebot um ein Gartencafé.
Nebenan steht seit dem Jahr 1957 der Neubau der katholischen Kirche St.Martinus. Die Rückseite des Chores ist zur Maubisstraße ausgerichtet und wird durch eine Reihe hoher Bäume verdeckt. Davor liegen 16 quer zur Fahrbahn angeordnete PKW-Parkplätze.
Es folgen einige erhaltene Wohnhäuser aus den 1920er Jahren, dahinter die Einmündung zur Matthias-Claudius-Straße, an der früher der kleine Hof der Familie Blum stand. Es folgen neue Wohn- und Geschäftshäuser sowie die Straße „Am Dreieck“. Das sich daran anschließende Maubiscenter wird, obwohl an der Maubisstraße liegend, gesondert behandelt.
Auf der gegenüberliegenden Seite führt hinter dem Maubishof und den sich anschließenden Wohn- und Geschäftshäusern, in denen sich Filialen der Deutschen Bank und der Sparkasse Neuss befinden, ein fußläufiger Weg zum Freesienweg. Es folgen freistehende Einfamilienhäuser und – etwas zurückliegend – wieder ein Neubau mit Geschäften. Hier hat bis in die 1980er Jahre der Bauernhof der Familie Esser gestanden, den sie von der Familie Götzen/Hamacher übernommen hatte[14]. Nach der Einmündung zur Grünstraße steht das Haus mit dem gleichmäßig gewölbten Zollinger-Dach, benannt nach dem Architekten Friedrich Reinhardt Balthasar Zollinger, 1880-1945, der diese Konstruktion entwickelte und 1923 als Zollbauweise patentieren ließ[15].
Es schließen sich wiederum Einfamilienhäuser aus dem letzten Jahrhundert an. In einem befand sich lange Jahre die Zahnarztpraxis von Frau Dr.Große-Kruse, diezu diesem Zeitpunkt einzige Zahnarztpraxis in Kaarst. Der ehemalige Bauernhof des Milchhändlers Schmitz wurde in den 1990er-Jahren abgerissen und an dieser Stelle ein modernes Haus – geplant vom Architekturbüro Bierholz (Bierholz Bau GmbH) – erbaut. 1999 eröffnete Franc Braun hier sein Friseurgeschäft, das einen überregionalen Ruf genießt und inzwischen rund 40 Angestellte beschäftigt. Daneben führt ein fußläufiger Weg zur Klövekornstraße. Unmittelbar an diesem Weg steht das alte Wohnhaus des ehemaligen Kaarster Schuldirektors und Ehrenbürgermeisters Leo Klövekorn. Dieses Haus hat mehrfach den Besitzer gewechselt. In der 1980er- bis in die 1990er-Jahre wurde ein Bordell in dem altwürdigen Haus gegenüber der Kirche betrieben, was für einige Aufregung in der Gemeinde sorgte. Allerdings erzählt man sich auch, dass just während der Aufstellung zur Parade am Schützenfest ein Mann besagtes Haus verließ und von den zahlreichen Schützen mit stürmischem Applaus begrüßt wurde, worauf dieser eiligst das Weite suchte. Hinter dem Klövekornhaus stand ursprünglich ein Doppelhaus, in dem die Sparkasse Neuss eine Filiale unterhielt und der ehemalige Lehrer und spätere Rektor der katholischen Volksschule, Adamsky, wohnte. Heute steht hier ein Wohn- und Geschäftshaus, davor befindet sich eine Bushaltestelle. Neben dem Doppelhaus befanden sich ursprünglich das Malergeschäft von Herwig und die Metzgerei Türlings. Das Haus besteht noch, die Betreiber der kleinen Ladenlokale haben jedoch immer wieder gewechselt. Auf dem heute brachliegenden Grundstück daneben befand sich bis 2002 die Einfahrt zur Rheinischen Bezugs-und Absatzgenossenschaft, kurz „die Genossenschaft“ genannt. 1922 gegründet, diente sie den örtlichen Landwirten, ihre Produkte zu vermarkten und günstig Futtermittel und Dünger zu erwerben. Ab 1961 gab es auch einen sogenannten Kleinverkauf für Jedermann.
An der Ecke zur Neusser Straße steht das 1906 erbaute Wohnhaus mit Gaststätte der Familie Müllers. Als Adam Müllers, der unmittelbar neben der Kirche Alt-Sankt Martinus eine Gastwirtschaft betrieb, seinen Neubau am heutigen Standort errichtete, reagierten die Kaarster mit Unverständnis und fragten sich kopfschüttelnd, wie man so weit vom Ortsmittelpunkt entfernt einen Neuanfang wagen kann. Doch dies erwies sich als Erfolg. In der nächsten Generation führte Heinz Müllers, der von 1961 bis 1966 auch Bürgermeister der Gemeinde Kaarst war, die Gaststätte. Im Kaarster Volksmund wurde die Gaststätte übrigens auch „Dökisch“ genannt, nach einem älteren Namen der Familie Müllers. Nicht nur dieser alte Name hat sich erhalten. Auch die Erinnerung an die ehemalige „Schmackertzkull“, die an dieser Stelle gelegen war, blieb lebendig in der Bezeichnung eines kleinen Gastraums mit dem Namen „Schmackertzstübchen“. Hier stand übrigens 1954 pünktlich zur Fußballweltmeisterschaft einer der ersten Fernseher im Ort. Bis 1997 war die Gaststätte im Besitz der Familie Müllers und hat im Laufe der Zeit einige Male den Namen gewechselt: von der ursprünglichen Gastwirtschaft „Deutsches Eck“ über „Müllers Pinte“ bis zum heutigen Restaurant „Il Trio“.
23.05.2017
[1] StA Kaarst 1.036, Straßenbezeichnungen, Gebäudenummerierungen, 13.08.1913
[2] Peschkes Heinrich, Aufzeichnungen 1757-1771, Sammlung Michels, Übertragung Hans Hüsen
[3] StA Kaarst Zug Nr. 39/2017: Quellensammlung Winzen/Scheuren
[4] Westdeutsche Zeitung vom 10.06.2006, „Auch Berti Vogts kommt regelmäßig“
[5] Geschichte in Bildern, Band 1, S.27
[6] Zeitzeugenbefragung Hans-Gerd Niemöhlmann, 2015
[7] StA Kaarst 1.036, Straßenbezeichnungen, Gebäudenummerierungen, 13.08.1913
[8] Grüter, Stefan: Kaarst – Bilder seiner Bauten, S.75
[9] StA Kaarst 1.012
[10] StA Kaarst N 26, Protokoll der Sitzungen des Rates der Gemeinde Kaarst
[11] StA Kaarst 381, Das Kriegerdenkmal in Kaarst
[12] Sankt Sebastianus Kaarst, Ausgabe 2, Dezember 1999, Die Renovierung des Kriegerdenkmals
[13] Bienefeld, Anna: Das Kaarster Leben im Alter. Lebendige Gemeinde 1999, Heft 1, S.6
[14] StA Kaarst, Einwohnerverzeichnisse der Bürgermeisterei Kaarst 1903 und 1910
[15] Heise, Karin: Friedrich Reinhardt Balthasar Zollinger, Deutsche Bauzeitung, 2004, Heft 2, S.68 ff