Neusser Straße

Stadtteil: Kaarst

amtlich benannt zwischen 1910 und 1913

früherer Name: 16.04.1935 bis 11.12.1946 Adolf-Hitler-Straße

heutiger Verlauf: Friedensstraße bis Kaarster Straße

früherer Verlauf: Friedensstraße bis etwa Höhe heutige Adenauer Allee (1913)

Länge der Straße: 1.492 m

 

Die Neusser Straße ist eine der 14 Straßen, die zwischen 1910 und 1913 erstmals in der Gemeinde Kaarst einen amtlichen Namen erhielten.[1] Sie verbindet – wie der Name bereits andeutet – Kaarst mit der Stadt Neuss. Gemäß dem Wege- und Lagerbuch von 1857 [2] war sie ein Teilstück des Communalweges von der Neusserfurth zu Franzens Zollhaus, später Teil der Provinzialstraße, die von Neuss nach Krefeld führte. 1856 war sie 26 Fuß (etwa 8 m) breit [3] und vollständig mit Kies ausgebaut.

Auf der Strecke Kaarst — Neusserfurth war das Teilstück mit der Bezeichnung Neusser Straße im Laufe der Zeit unterschiedlich lang. 1913 führte die Neusser Straße von der Mittelstraße bis etwa zur heutigen Adenauer Allee, ab 1935 als Adolf-Hitler-Straße von der Mittelstraße bis zum Hoferhof. [4] 1946, wieder unter dem alten Namen, führte sie von der Mittelstraße bis zur Furth. [5] 1975 ging im Zuge der kommunalen Neuordnung das Gebiet hinter der Autobahnbrücke bis Kaarster Brücke an Neuss. Dadurch endete die Neusser Straße an der Autobahnbrücke der A 57 und wurde auf Neusser Gebiet als Kaarster Straße fortgeführt.

1912/13 schloss die Gemeinde Kaarst mit der Stadt Neuss einen Vertrag über „die Zulassung einer elektrisch betriebenen Straßenbahn auf dem Communalwege von Neußerfurth bis Kaarst“. [6] Als Gegenleistung für das Verlegen der Schienen und den Betrieb der Straßenbahn trat Kaarst Gemeindegebiet von der Kaarster Brücke bis etwa zur heutigen Gladbacher Straße auf der Furth, Vogelsang und Buschhausen an Neuss ab. Im Vertrag sicherte Neuss zudem die Fertigstellung der Verkehrsverbindung innerhalb von zwei Jahren zu, konnte dies jedoch aufgrund des I. Weltkrieges 1914/18 und der nachfolgenden Inflation nicht einhalten. Nachdem 1925 endlich mit dem Bau begonnen wurde, schrieb der Kaarster Bürgermeister Bergerfurth 1926 einen vertraulichen Brief an den Landrat in Neuss. Darin warf er der Stadt Neuss vor, es sei ihr nur um die Erhöhung der Einwohnerzahl gegangen, um endlich kreisfrei zu werden. Man hätte nach der Eingemeindung vor 12 Jahren aus dem Gebiet Steuern eingezogen und den Furthern sogar ihr Schützenfest verboten. Kaarst hätte dagegen bisher noch keine vertraglich zugesicherte Gegenleistung erhalten. [7] Doch nun entstand, von der Furth ausgehend, eine eingleisige Strecke bis zu ihrem Ende auf der Neusser Straße gegenüber der Gaststätte „Deutsches Eck“. [8]

Kaarst, Die Neusser Straße Ende der 1920er-Jahre von der Ecke Maubisstraße gesehen. Links war die Endhaltestelle der Straßenbahn. Es gibt noch keine Straßenbeleuchtung und keine Bürgersteige. Die Häuser auf der linken Seite stehen heute alle nicht mehr.
Die Neusser Straße Ende der 1920er-Jahre von der Ecke Maubisstraße gesehen. Links war die Endhaltestelle der Straßenbahn. Es gibt noch keine Straßenbeleuchtung und keine Bürgersteige. Die Häuser auf der linken Seite stehen heute alle nicht mehr.

An dieser Endhaltestelle gab es eine der beiden Weichen auf der Strecke, die das Umkoppeln der Anhänger ermöglichte. Die andere Weiche etwa auf halber Strecke zwischen Kaarst und Furth war notwendig, um zwei Bahnen im Gegenverkehr einander passieren zu lassen. Durch ein Signal wurde sichergestellt, dass sich die Bahnen auf der eingleisigen Strecke nicht entgegen kamen. Zusätzlich führten die Bahnen einen Rangierstock aus Eisen mit sich, da mit diesem die Weichen per Hand umgestellt werden mussten. Die Haltestelle in der Nähe dieser Weiche hieß übrigens „Am Stock“.

Auf Kaarster Gebiet gab es 7 Haltestellen: Endhaltestelle Müllers – Jägerhof – Kleinsiep – Hoverhof – Am Stock – Backes – Brücke. Im weiteren Verlauf führte die Strecke am Straßenbahndepot auf der Furth vorbei, quer durch Neuss bis nach Grimmlinghausen. 1964 wurde der Betrieb der Straßenbahn eingestellt und durch Buslinien ersetzt.

An der Endhaltestelle der Straßenbahn in den 1950er-Jahren. Links liegt das kleine Haus von Dierks Marie. Die weißen Fenster gehören zur Zahnarztpraxis von Dr. Beutel. Rechts davon folgen die Häuser der Familien Brester und Hoersch
An der Endhaltestelle der Straßenbahn in den 1950er-Jahren. Links liegt das kleine Haus von Dierks Marie. Die weißen Fenster gehören zur Zahnarztpraxis von Dr. Beutel. Rechts davon folgen die Häuser der Familien Brester und Hoersch

Im Laufe der Zeit wurde der Zustand der Straße den Bedürfnissen der Bürger und dem zunehmenden Verkehr angepasst. Waren die Wege zu Beginn des Jahrhunderts in einem recht mangelhaften Zustand, so erhielten unter dem Bürgermeister Ferdinand Bergerfurth die Hauptverkehrswege, darunter auch die Neusser Straße, eine Basaltdecke und schließlich einige Jahre später unter seinem Nachfolger, Ehrenbürgermeister Leo Klövekorn, eine Asphaltdecke.[9]

1935 beklagten sich die Bürger aus dem Ortsteil Kaarster Brücke über den unsäglichen Zustand der Straße. Von einer „Schlagloch-Wüste“ ist die Rede, die „in Größe und Tiefe miteinander wetteifern“. „Insbesondere bei Regen ist es fast ausgeschlossen, dass ein Fußgänger die Straße passieren kann, ohne erheblichen Schaden an Kleidung und Gesundheit zu nehmen“. Man bittet daher um unverzügliche Abhilfe. [10]

1938 erhielt die Neusser Straße ein erstes Kanalstück von der Badeanstalt an der Halestraße bis zum Dämmke an der Friedensstraße, um Bad- und Regenwasser zu entsorgen. [11]

Ende der 1950er-Jahre stellten die Anwohner einen Antrag an den Gemeinderat, Fußgängerwege anzulegen, da das Begehen der Fahrbahn aufgrund von Verkehr zu gefährlich geworden sei. Der Antrag fand Zustimmung und heute gibt es entlang der Straße überall Bürgersteige.

1967 erhielt die Neusser Straße als erste Straße in Kaarst eine durchgehende Straßenbeleuchtung. Noch standen die Straßenlaternen jedoch in einem wesentlich größeren Abstand als heute.[12]

An der Neusser Straße zeigt sich in besonderer Weise die Entwicklung von Kaarst aus einer ehemals landwirtschaftlich geprägten dörflichen Gemeinde hin zu einer modernen Stadt. 1913 wurden entlang der Neusser Straße bis zur Furth noch 21 Landwirte erwähnt (siehe Anhang). Heute werden nur noch sieben dieser Höfe landwirtschaftlich geführt: Heimanns, Bonnen, Schiffer (Schrills), Kallen (Nellessen), Hehnen, Wilms und Küppers. Der Hof des Bauern Küppers war ursprünglich der alte Holterhof, urkundlich erstmals 1375 erwähnt. [13] Der Hof war ein Kurkölnisches Lehen und ging 1406 in das Amt Liedberg über. Dieses übergab den Hof als Lehen an Johannes Ecken aus Neuss. Als 1485 Reynart Lodewick belehnt wurde, hieß der Hof „Halter Houe genannt Eckenhoff“, später Eggenhof. Die heutige Eggenhofstraße erinnert daran. Die Tatsache, dass von den ursprünglich 21 Landwirten im Jahre 1913 nur noch sieben dieser Höfe landwirtschaftlich betrieben werden, spiegelt die allgemeine Entwicklung wider. So sank der Anteil von Bauern an der Gesamtbevölkerung von 22% im Jahr 1950 auf weniger als 3% im Jahr 1990.[14] Im Zuge der Bebauung wurde Land verkauft, Spezialisierung setzte ein (keine Mischwirtschaft mehr) und die meisten Hofbesitzer mussten die Landwirtschaft aufgeben. Die verbliebenen Höfe wurden größer, man pachtete weitere Ackerflächen an und war dennoch auf einen zusätzlichen Verdienst angewiesen, wie z.B. Bauer Schiffer, der heute einen Partyservice anbietet.

Exemplarisch für die Entwicklung eines Hofes sei hier der Hoferhof, unmittelbar vor der Autobahnbrücke gelegen, näher erwähnt. Er gehört zu den ältesten Höfen von Kaarst und zahlreiche Kaarster Höfe waren an ihn abgabepflichtig. Der Hoferhof taucht erstmals 1343 in einer Urkunde auf und wird als „curia dicta ten Hoyve“, als der Hof zum Hofe bezeichnet.[15] In dieser Urkunde vom 10. September 1343 bezeugen Everard von Lauvenburg und Reinard zum Haus, Lehensleute von Hochstaden, dass „der Hof zum Hofe im Kirchspiel Kaarst ebenfalls ein Hochstader Lehen sey“. Laut Kataster der Kaarster Bauernhöfe war der Hoferhof „ein frey Guth und ein khurfürstig Lehn, dem Freiherrn Frede zugehörig“, und verfügte nach einem Verzeichnis aus dem Jahre 1660 im Hoverkamp am Brochsterfeld über 123 ¾ Morgen, 18 Ruthen und 12 Fuß Land. [16] Entsprechend der Größe des Bauernhofes waren Steuern in Gulden, Stüber und Heller sowie Schützengeld zu entrichten. Die Steuern wurden jährlich an Martini (Martinstag) unmittelbar an die „General Einnehmung zu Coelln“ gezahlt. Seit Jahrhunderten ein landwirtschaftlicher Betrieb mit wechselnden Eigentümern war der Hof unter seinem jetzigen Besitzer Hans Schlangen Gastwirtschaft und Reitstall. Seit 2008 sind die Räumlichkeiten an die Scheiben-Schützen-Gesellschaft Kaarst 1962 e.V. verpachtet, die dort auch einen Schießstand betreibt.

Kaarst, Neusser Straße, Der Hoferhof, a vor der Autobahn A 57 gelegen
Der Hoferhof, unmittelbar vor der Autobahn A 57 gelegen
Kaarst, Neusser Straße, Ein Eisbär zu Besuch beim Schützenfest 1951 vor den Häusern von Hoersch und Brester
Ein Eisbär zu Besuch beim Schützenfest 1951 vor den Häusern von Hoersch und Brester

Es änderte sich aber nicht nur die bäuerliche Struktur, sondern auch das Angebot an Geschäften und Betrieben aller Art. Man passte sich den steigenden Erfordernissen an.

Als eine der Hauptstraßen gab es an der Neusser Straße schon immer Geschäfte. Oft waren sie in einem Raum des eigenen Wohnhauses untergebracht. So verhielt es sich auch beim ältesten in Kaarst noch bestehenden Geschäft, der Bäckerei Esser an der Ecke zur Cusanusstraße gelegen. Nach eigenen Angaben besteht die Bäckerei schon seit 175 Jahren. Im Stadtarchiv finden wir den Nachweis der Existenz der Bäckerei Josef Esser im Verzeichnis der in der Gemeinde vorhandenen Gewerbebetriebe für das Jahr 1894.[17]

In den 1950er-Jahren gab es hier Brötchen, Brot, Hefekuchen und zusätzlich Lebensmittel des täglichen Bedarfs. Heute ist der Laden ein modernes, helles Ladengeschäft mit Stehcafé und Coffee to go. Bekannt ist die Bäckerei Esser nicht nur für ihre „Foto-Kuchen“ zu jedem Anlass, sondern auch für das Engagement der Familie auf dem Tuppenhof.

Im nahezu noch ursprünglichen Zustand ist das Haus der Familie Stamm, unweit der Bäckerei Esser, in dem Peter Stamm ein Kolonialwarengeschäft führte. Sein Sohn Willi Stamm eröffnete dort das erste Goldschmiedegeschäft in Kaarst, das eine Zeit lang von einem Pächter weitergeführt wurde. Andere Betriebe mussten neuen Wohngeschäftshäusern weichen, wie der Lebensmittelladen des Toni Schröder oder die Arztpraxis des Dr. Theissen. Auch das daran anschließende „Butterschlößchen“ verschwand. Der Volksmund gab dem Haus den Namen, weil sein Besitzer, ein Herr Rötgens, es nach dem Krieg mit dem Erlös aus seinem Butterhandel hatte erwerben können. Das Butterschlößchen befand sich neben dem Haus des Milchhändlers Kluth, dessen Haus heute noch steht.

An der Endhaltestelle der Straßenbahn befand sich das kleine Haus von Dierks Marie und darin die Praxis von Herrn Dr. Beutel, dem ersten Zahnarzt in Kaarst. Heute steht an dieser Stelle ein Mehrfamilienhaus mit einer Spielhalle und einem Blumengeschäft im Erdgeschoss. Daneben wurden gleich drei Einfamilienhäuser, das des Polsterers Schmitz, das Haus des Gemeindeschreibers Brester und das des ehemaligen Gemeindedirektors der Gemeinde Kaarst, Hans Hoersch, abgerissen und 2011 entstand dort ein großer Rewemarkt inklusive Parkplatz. Diesem Markt wurde von der Stadt Kaarst durch das Zertifikat „Kaarst barrierefrei“ am 28.08.2012 bescheinigt, behindertengerecht zu sein.[18] 1955 – 1963 fand auf dem ehemals freien Gelände neben dem heutigen Rewemarkt alljährlich die Kaarster Kirmes statt, mit Fahrgeschäften wie Raupenbahn, Schiffschaukel und Kinderkarussell sowie allerlei Buden. Der Gebäudekomplex auf diesem Platz heute beherbergt unter anderem die Gaststätte „Bürgerkeller“. Miteigentümer ist im Übrigen der gebürtige Büttgener Berti Vogts, ehemaliger Nationalspieler des DFB und einige Jahre Bundestrainer.

Ein altes Gebäude befand sich bis 2014 an der Ecke zur Halestraße, die ehemalige Kohlenhandlung Görgemanns, später die Spedition Matthias Hüsges. Das Gebäude wurde in den letzten Jahren vor dem Abriss nicht mehr betrieblich genutzt.

Kaarst, Neusser Straße, Das Haus der Familie Görgemanns an der Ecke zur Halestraße (Abriss 2014). Auf dem Feld dahinter befand sich in der 1950er-/1960er-Jahren der Kirmesplatz mit dem Festzelt.
Das Haus der Familie Görgemanns an der Ecke zur Halestraße (Abriss 2014). Auf dem Feld dahinter befand sich in der 1950er-/1960er-Jahren der Kirmesplatz mit dem Festzelt.
Werbung um 1950
Werbung um 1950

Eine mehr als 100-jährige Geschichte hat auch das Haus und die Gaststätte auf der Ecke zur Maubisstraße. Das Gebäude wurde 1906 von der Familie des Adam Müllers errichtet, der bereits im alten Dorf eine Gastwirtschaft betrieben hat und die neu erbaute „Deutsches Eck“ nannte. [19] Im Volksmund war es immer „Dökisch-Eck“. Der Name „Dökisch“ entstand wahrscheinlich nach einem Vorfahren Joannes Doekers, verheiratet mit Lucia Muellers, deren Sohn Joannes am 30.03.1755 getauft wurde. [20] Gegenüber befand sich einst der Schmackertzhof, auch Hof am Broich genannt. Er war ein sogenannter Kurmudshof, gegenüber dem Lovenberg Hof abgabepflichtig (kurmudspflichtig). Seit wann der Hof bestand, konnte nicht festgestellt werden. Vermutlich gab es ihn aber schon im 15. Jahrhundert, einer Zeit, in der die Höfe oft nach ihrer Lage benannt wurden (Hof am Broich). Erwähnung findet der Schmackertzhof 1761 während des Siebenjährigen Krieges. Dort wurden, wie auf allen Höfen, berittene französische Soldaten und Fußsoldaten einquartiert, die versorgt werden mussten. Für die Versorgung erhielten die Höfe Entschädigung. [21] Die Schmackertzkull hinter der Gaststätte Müllers lag etwa zwei Meter unter Straßenniveau und wurde noch bis in die 1950er-Jahre als Gartenlokal genutzt.

Kaarst, Neusser Straße, Adam Müllers bei den Vorbereitungen zum Bierausschank (wahrscheinlich zum Schützenfest 1928). Die Treppe im Hintergrund führt in die Gaststube, das kleine Gebäude links war die Latrine.
Adam Müllers bei den Vorbereitungen zum Bierausschank (wahrscheinlich zum Schützenfest 1928). Die Treppe im Hintergrund führt in die Gaststube, das kleine Gebäude links war die Latrine.
Kaarst, Neusser Straße, Die 1906 erbaute Gaststätte Müllers an der Ecke zur Maubisstraße. Der Anbau neben dem Tor ist der heute noch bestehende Kiosk. In dem Anbau auf der Maubisstraße war bis Ende der 1950er-Jahre die Spar- und Darlehenskasse.
Die 1906 erbaute Gaststätte Müllers an der Ecke zur Maubisstraße. Der Anbau neben dem Tor ist der heute noch bestehende Kiosk. In dem Anbau auf der Maubisstraße war bis Ende der 1950er-Jahre die Spar- und Darlehenskasse.

Der Sohn Heinz Müllers (1961 – 1966 Bürgermeister der Gemeinde Kaarst) übernahm die Gastwirtschaft und baute neben dem Haus an der Straße den ersten Kiosk in Kaarst, der noch heute existiert und unter Kaarstern immer „das Büdchen“ hieß. Kurze Zeit gab es, daran angebaut, auch eine offene Wartehalle, bevor sie als zusätzlicher Raum in den Kiosk integriert wurde. Der Teil, der als Gartenlokal genutzt worden war, wurde in den 1960er-Jahren verkauft. Die Familie Effen baute dort eine Metzgerei und betrieb sie bis zum Jahr 1971. Als der Nachfolger Schwartke das Geschäft 1997 aufgab, verlor der Ortsteil Kaarst das letzte Fleischereifachgeschäft. [22]

Hinter dem Grundstück, auf dem später die Gaststätte „Deutsches Eck“ errichtet wurde, entstand 1889 mit Zugang zur Maubisstraße die Landwirtschaftliche Bezugs- und Absatzgenossenschaft, von der Bauern Futter- und Düngemittel, Kohle und Brikett erstehen und in der sie Kartoffeln und Getreide vermarkten konnten. 1900 folgte die Spar- und Darlehenskasse, die in zwei kleinen Räumen hinter dem späteren „Deutschen Eck“ untergebracht war. [23] Mit der wachsenden Bevölkerungszahl und der Tatsache, dass es zunächst die einzige „Kasse“ in Kaarst war, wurde ein Umzug in das alte Schmenglerhaus neben der Metzgerei Effen erforderlich. Bald schon folgte hier ein Neubau, da das alte Haus, wie sich bei zwei erfolgten Überfällen zeigte, modernen Sicherheitsstandards nicht mehr genügte. Die dahinter liegende Genossenschaft, die wie die Spar- und Darlehenskasse zum Rheinischen Genossenschaftsverband gehörte, erhielt einen sogenannten „Kleinverkauf“ und später ein Silo, in dem das abgelieferte Getreide der Bauern gelagert und getrocknet wurde. Nach einer weiteren Modernisierung firmiert die ehemalige Spar- und Darlehenskasse nun unter dem Namen Raiffeisenbank. Die Warengenossenschaft wurde in die Rheinische Waren-Zentrale nach Glehn verlegt, das Silo und die Lagergebäude abgerissen. Heute sind alle großen deutschen Banken in Kaarst vertreten. Auf der Neusser Straße ist es die Stadtsparkasse Neuss, die hier eine Zweigstelle unterhält.

Außer der Gaststätte „Deutsches Eck“ gab es gegenüber der heutigen Jägerhofstraße ein weiteres Lokal, den „Jägerhof“. Sonntags spielte man dort zum Tanz auf. Der Eintritt war frei, das Ende offen, denn es gab noch keine Polizeistunde. So verließen die letzten Besucher oft das Lokal erst in der Morgendämmerung. Zeitweise wurden dort nach dem Krieg Flüchtlinge untergebracht. Nach Schließung des Lokals war es zunächst eine Strumpffabrik, dann ein Kartoffelschälbetrieb. [24] Heute befindet sich dort ein Wohnhaus.

Kaarst, Neusser Straße, Die Straßenbahn im Mai 1958 auf der Höhe der Haltestelle Jägerhof (weißes Haus). Man wartete im Übrigen auf der gegenüberliegenden Seite. Durch die Wiese führt heute die Windmühlenstraße.
Die Straßenbahn im Mai 1958 auf der Höhe der Haltestelle Jägerhof (weißes Haus). Man wartete im Übrigen auf der gegenüberliegenden Seite. Durch die Wiese führt heute die Windmühlenstraße.

Gegenüber lag das Haus des Lehrers Peter Hermes. Als er es 1954 baute, halfen Schüler beim Ausschachten der Baugrube. [25] In Erinnerung bleiben wird Herr Hermes als Mitbegründer des Kaarster Edelknabenchors 1951 und langjähriger Betreuer. [26]

Ein weiteres bekanntes Lokal war der „Heidekrug“ (auf dem Straßenabschnitt Heide). Am 27. November 1944 wurde er von einer Bombe getroffen, die glücklicherweise keinen großen Schaden anrichtete. Seit 1975 gehört das Gebiet zu Neuss.

Die stetig steigende Einwohnerzahl — im Ortsteil Kaarst stieg sie von 3.453 Einwohner 1945 auf 21.340 Einwohner 1974 an, eine Steigerung auf nahezu das 6 ½ fache — [27] erforderte einen weiteren Zuwachs an Geschäften und Gewerbe. So finden sich heute auf der Neusser Straße u.a. eine Apotheke, Arztpraxen, Imbissstuben, Paketdienste, Bäcker, Friseure, Architekt und in der Nähe der Autobahnbrücke ein Getränkemarkt, eine Tierbedarfshandlung und das Gartencenter der Familie Schmitz. Zunehmend wechseln aber auch Besitzer und Art des Geschäfts, so dass eine vollständige Aufzählung hier kaum möglich ist.

Insgesamt fällt auf, dass sich der Hauptteil der Geschäfte im unteren Teil der Neusser Straße Richtung Maubisstraße befindet und sich hier auch die am längsten ansässigen Betriebe befinden.

So hat die Neusser Straße innerhalb nur einer Generation ihr Erscheinungsbild verändert: von einer mehr oder weniger ruhigen Landstraße hin zu einer dicht bebauten, lebhaften und verkehrsreichen Hauptstraße.

 

Bauernhöfe entlang der heutigen Neusser Straße Richtung Furth im Jahr 1913 [28]

Bauernhöfe auf der linken Straßenseite
Hof-/Familienname Straße, Nr.
Stamm / Schlangen (Hoferhof) Heide 2
J. Wilms Heide 4
E. Heimanns Heide 5
Bauernhöfe auf der rechten Straßenseite
Hof-/Familienname Straße, Nr.
H. Kreutzer Neußer Straße 13
J. Bremer Neußer Straße 17
F. Schlangen Neußer Straße 20
P. Spenrath Neußer Straße 22
Menzen Neußer Straße 23
F. Leven Heide 1
P. Bonnen Heide 8
P. Kluth Heide 11
A. Henzen, H. Wilms Heide 13
H. Linnertz Heide 14
J. Götzen Heide 15
H. Schrills Heide 17
Steprath Heide 18
Nellessen Heide 20
Kallen Heide 21
G. Hehnen Brücke 39
P. Küppers Brücke 38
P. Rathmacher Brücke 30

 

07.09.2015

 


 

[1] StA Kaarst 1.036, Hausnummerierungen und Bezeichnung der Straßen; StA Kaarst 1.039, Wege-Lagerbuch der Gemeinde Kaarst, Nr.42

[2] StA Kaarst 1.039, Wege-Lagerbuch der Gemeinde Kaarst

[3] Meyers Konversations-Lexikon. 11.Bd., S.1.018 <rheinländischer Fuß 313,8535 mm; 26 Fuß = 8.16 m>

[4] StA Kaarst 23, Protokollbuch des Kaarster Gemeinderates

[5] StA Kaarst 3.093, Straßenreparaturen

[6] StA Kaarst 1.009, Bau der elektrischen Straßenbahnlinie von Neuss nach Kaarst

[7] StA Kaarst 3.908, Die Eingemeindungspläne der Stadt Neuß

[8] Geschichte in Bildern, Bd. II, S. 110 f.

[9] Klövekorn, Leo: Kaarst einst und jetzt. In: Festschrift der St. Sebastianus-Schützenbruderschaft Kaarst zur Feier ihres 500-jährigen Bestehens 1950, S. 22 ff.

[10] StA Kaarst 1.038, Brief an die Gemeindeverwaltung vom 10.04.1935

[11] StA Kaarst 23 S. 239, Ratsbeschluss vom 06.10.1938

[12] Auskunft von Gerd Schmitz, Stadtverwaltung Kaarst, Bereich 66

[13] Kirchhoff, Hans Georg: Geschichte der Stadt Kaarst, S. 87

[14] Kuhnen, Fritjof: Deutsche Landwirtschaft im Prozess zunehmender Industrialisierung, S. 5 ff.

[15] Lacomblet, Theodor Josef: Urkundenbuch für die Geschichte des Niederrheins. Dritter Band, Nr. 398

[16] StA Kaarst Sammlung Pfeiffer, Kataster der Kaarster Bauernhöfe aus dem Jahre 1794, Nr.178

[17] StA Kaarst 3.603, Verzeichnis der in der Gemeinde Kaarst vorhandenen Gewerbebetriebe 1894/95

[18] Bereich 40, Koordinierungsstelle „Kaarst barrierefrei“, AZ 50 79 40

[19]  Festschrift der St. Sebastianus-Schützen-Gesellschaft in Kaarst zur Feier ihres 475jährigen Bestehens am 31. Juli und 1. August 1926; S. 21

[20] Taufbuch der Pfarre St. Martinus Kaarst. Taufen 1632 – 1798, S. 35

[21] StA Kaarst, Sammlung Pfeiffer, Kaarst im 7jährigen Krieg

[22] Bereich 32, Gewerberegister der Stadtverwaltung Kaarst

[23] Müllers, Carl: Die Genossenschaften in Kaarst. Kaarster Mitteilungen Jg.5,  Nr.3 vom 01.02.1969 – Nr.9 vom 26.04.1969

[24] Stamm, Willi: Die alte Neusser Straße. Von Müllers bis Larbalette. Nach den Erinnerungen von Gertrud Ritters. 2011

[25] Stamm, Willi: Die alte Neusser Straße. Von Müllers bis Larbalette. Nach den Erinnerungen von Gertrud Ritters. 2011

[26] StA Kaarst, Chronik des Kaarster Edelknabenchors 1951

[27] StA Kaarst, eigene Einwohnerstatistiken

[28] StA Kaarst Einwohnerverzeichnis der Bürgermeisterei Kaarst 1913       

 

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